Drei Was Lavasalz


Tiere unserer Bauern
Tiere unserer Bauern

„Drei,Was?“ und ein irritierter Augenaufschlag. „Dry Aged Beef,“ wiederhole ich an der Fleischtheke der Landmetzgerei, “ … gut gereift mit Edelschimmel auf dem Talg“ (Anm. feste Fettschicht auf dem Fleisch). Die Fleischfachverkäuferin schaut mich an als hätte ich skandalös gammeliges Fleisch bestellt:

Kenne ich nicht, bei uns gibt´s täglich frische Ware von Tieren unserer Bauern.

Dry Aged Beef ist rot – dunkelrot

Edelschimmmel für den Fleischkenner

„OK, weiter so“, stimme ich ihr zu und kaufe höflichkeitshalber Hausmacher Schwarzwurst (siehe auch Schwarzwurst, Apfel und der Orient). Denn mit diesem traditionell orientierten Angebot setzen Landmetzgereien wie diese zumindest einen Kontrapunkt zu rumänischer Gaullasagne und stinkenden Gammelfleisch-Skandalen, denke ich in diesem Augenblick. Ganz wenige Fleischereien gehen einen Schritt über diese wiederbelebte regionale Hausmacher Tradition hinaus. Seit einigen Jahren bieten sie Rindersteaks auf urtraditionelle Art an: trocken abgehängtes Rindfleisch am Knochen, mit Edelschimmel auf der Oberfläche. Und das ist jetzt ganz hipp… so zumindest die Fachpresse und Lifestyle-Magazine wie BEEF. Ur-Oma kannte unser heutiges vakuumgereifte Fleisch in der Packung nicht, denn Trockenreifung am Knochen zur Verlängerung der Haltbarkeit des Fleisches war einst Usus.

Mit der Entstehung der Polymer- Industrie und der Erfindung von sauerstoffdichten Folien wurden im Gleichschritt die Eigenschaften des „Vakuum-Fleisches“ zum Standard: kräftig rote Farbe und leicht säuerlich metallischer Geschmack! Und das alles ohne Gewichtsverlust in der Packung, ohne das Risiko des vorzeitigen Fleischverderbs (Anm. durch Kontamination bei Transport und Lagerung)! Die drei F sind damit zufrieden: Folienhersteller, Fleischverarbeiter und sogar die Fleischesser.

Echte Fleischkenner seit einiger Zeit aber nicht mehr. Sie präferieren Dry Aged Beef wegen des unverfälschten Steakgeschmack – zart, intensiv, vollmundig und erdig. Der kleine Luxus, den sich echte Gourmets zu besonderen Anlässen auf der Zunge zergehen lassen, lässt sich hier nicht so einfach darstellen wie einem Blinden die Farbe Schwarz. Man sollte selber davon mal abgebissen haben.

Warum Dry Aged Beef so „anders“ schmeckt?

Die Rinderrücken hängen in speziellen Klimakammern länger ab als üblich, und zwar  vier bis acht Wochen. Nicht einfach so, sondern unter ständiger Kontrolle wie ein Roquefort oder Schwarzwaldschinken. Der Schimmelpilz, der sich bei der Reifung auf dem Fleisch und dem Rindertalg bildet, tötet unerwünschte Fäulnisbakterien ab, und macht das Fleisch zugleich haltbar. Während der Reifezeit verdunstet aus dem Fleisch bis zu 30% an Fleischsaft und es bildet sich eine trockene Oberfläche (Kruste). Die Farbe wird dann aussen eher braunrot als „leuchtend“ rot. Da diese spezifische Raumflora der Schimmelpilze  bei der Fleischreifung  auch die Muskelfasern  „angreift“ bzw. leicht zersetzt, wird das Fleisch aber sowas von zart!  Kritiker mögen sich an der Fleischverschwendung die durch diese extreme Reifung entsteht stören: Mindestens 25% Fleisch werden quasi zu Nichts. Und die Herstellung von Fleisch nimmt  ja ohnehin schon verhältnismäßig viele Ressourcen in Anspruch. Nun denn, …leider geil! Nicht jedermanns Geschmack –  in jeder Hinsicht.

Dry Aged Beef in Pan
Dry Aged Beef (T-Bone Schnitt) ca. 600 g, ausreichend für zwei Personen

Zubereitung

Dry Aged Steak enthält aus besagtem Grund sehr wenig Wasser, hat auch dadurch einen ziemlich intensiven Geschmack. Die Bratzeit ist deshalb auch deutlich kürzer als bei im Vakuum-Pack gereiftem Fleisch. Das muss man nicht nur wissen, sondern auch während des Bratens verinnerlicht haben! Sonst wird das Steak eher „durch“ als „medium“, so geschehen bei meinem ersten Ma(h)l. Das angelernte „Bratzeitgefühl“ für Steaks funktioniert hier nicht mehr, man sollte beim ersten Mal ständig „fingern“, um den optimalen Garpunkt des Steaks zu ertasten.

Eine Woche später wurde ich während einer Kochsession von einem Dry Age Fan  aufgeklärt: Die Steakscheibe von ca. 2 cm  während 2 Minuten in heißem Öl von jeder Seite anbraten, danach 10 Minuten im 80°C warmen Ofen „ruhen“ lassen, keine Umluft und mit Folie abgedeckt versteht sich! So bleibt es medium saftig.  Fleisch sollte generell nicht eiskalt aus dem Kühlschrank in die Pfanne gelegt werden, vorher eine halbe Stunde Raumtemperatur erspart  den Fleischfasern den Hitzeschock.

Gurke Hegau Kartoffeln Dry Aged Beef

Wieder daheim

Den einzigartigen Eigengeschmack des Steaks verfälsche ich nicht mit Kräuter(butter) und Gewürzen. In solchen seltenen Fleisch-Momenten bin ich gerne Purist und im Klaren, warum dieses Rind sterben musste. Respektvoll streue ich nur Spezialsalze drauf: Hymalayasalz, Lavasalz, Steinsalz oder vielleicht auch ein englisches Buchenrauchsalz.  Less is more, … das Zitat  des Bauhaus-Architekten Mies van der Rohe stimmt auch in diesem Fall! Als Beilage gibt´s einfach Bratkartoffeln dazu, wie bei Wolfgang´s in NY, Manhattan. Dort wurde diese Methode Fleischreifung aus dem Dornröschenschlaf erweckt, perfektioniert und medienwirksam inszeniert. Dieser Genuss ist wieder zurück in deutschen Edelrestaurants und -fleischereien. Danke dafür, Wolfgang!

UPDATE Okt 2015: Inzwischen gibt es tatsächlich in o.g. Landmetzgerei Dry Aged Beef! Der Inhaber hat somit letztendlich die Kurve noch gekriegt …

,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert