Essen & Trinken: Der Supermarkt als Petrischale der Gesellschaft


Buchbesprechung

Buywatch ist das Baywatch im Supermarkt! Sie schieben unsere Leckerchen vom Kassenband über den Scanner und schauen uns beim Abkassieren an. Würden Kassierer(Innen) das hier vorgestellte Buch verinnerlichen, könnten sie uns typgerecht hinsichtlich Stand sowie unserer Rolle in der Gesellschaft „einordnen“. So zumindest nach dem Verständnis des Soziologen und preisgekröntem Science-Slammer Jörn Höpfner.  Die Botschaft und zugleich der  Titel seines  brandaktuellen Sachbuchs:  „Sag mir, was Du kaufst, und ich sag Dir wer Du bist“  –  Der Supermarkt als Petrischale der Gesellschaft.

 Spieglein an der Wand, wer is(s)t was im ganzen Land?

Der Buchtitel ist quasi Synonym zur Phrase „Du bist was Du ißt“. Nun ja, schon klar, … aber was genau ißt wer eigentlich?! Diese Frage beschäftigt seit jeher die Experten aus Marketing und Rezeptentwicklung um ihre Leckereien mit größter anzunehmender Wahrscheinlichkeit in unserem Einkaufskorb platziert zu sehen. „Kundengerecht“ bzw. „Zielgruppenorientiert“ nennt man das im Marketingsprech. Zielgruppe? Ein scheußliches Wort, das an Bedeutung zunehmend verliert, weil sie im richtigen Leben nicht so toll funktioniert wie ihre Schöpfer sie gerne hätte. Heutzutage erkennen Ernährungssoziologen  anhand des persönlichen Background (soziokulturelles Umfeld/ Verhaltensmuster)  warum eigentlich das soo ist was man ißt. Essgewohnheiten sind nicht nur abhängig vom Einkommen, Alter, Bildung und Geschlecht.  Selbst für Profis sind die vermeintlichen Erkenntnisse dieses oft komplexen Sozio-Marktforschungs-Geschwurbel schwer verständlich. So ist es eine Herausforderung mit Hilfe solcher Analysen einfach mal beliebte Leckereien zu kreieren.  Zudem Wissenschaft als solche in erster Linie meega sachlich emotionslos ist.

ABER Wissenschaft kann auch anders.Und zwar mit diesem populärwissenschaftlichen Buch anschaulich, nachvollziehbar und unterhaltsam spannend sein! Die Texte sind ganz besonders für Foodies und kulinarisch Interessierte geeignet, die schon immer wissen wollten, was es mit den facettenreichen „Ernährungsfimmeln“ ihrer Mitmenschen so auf sich hat.  Stets gewürzt mit süffisantem Humor, ist die Lektüre auch tauglich für den nächsten Party-Talk, ohne jedoch spezielle Ernährungsmodelle durch den Kakao ziehen zu wollen. So wie wir es von einem gestandenem Science-Slammer erwarten dürfen.

“ Es geht dabei nicht um Wahrheit! Es geht um Verstehen. Warum sind die Dinge wie sie sind?“

Mit seiner Aussage im Vorwort erklärt der Autor Jörn Höpfner augenzwinkernd, dass auch „die Experten“  die Wahrheit unseres gesellschaftlichen Lebens eigentlich nicht wirklich kennen, sondern nur zu verstehen versuchen. (Anm.: Tatsächlich landen laut Statistik bis zu 70% (!) Flops auf dem Markt und so manche Wahlergebnisse geben nun mal in jüngster Vergangenheit „den Experten“ echte Rätsel auf, uups!)

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis deutet schon die geballte Ladung Humor an, die zugleich neugierig auf den Content macht. Nachdem der Autor in Kapitel 1 seine ersten Schritte zur Soziologie erklärt (von Beginn an seiner Geburt), verstehe ich seine Leidenschaft:

„Interessante Menschen sind wie ein Kaleidoskop: Gerade wenn wir glauben, sie gesehen und erfasst zu haben, bewegt sich nur eine Kleinigkeit und verändert alles. […] Das Spiel beginnt von vorn. Ich hasse solche Menschen. Ich liebe solche Menschen.“

Insgesamt folgen 14 weitere Kapitel, wobei zunächst die Existenz unseres viel gepriesenen Individualismus in Frage gestellt wird.  Wir lesen vielmehr über die Höpfner´sche Charakterisierung der „Milieus“ und die Unzulänglichkeiten der Marktforschung der 80er und 90er Jahre.

Buywatch oder warum Andere anders ticken

Was schmeckt beispielsweise den Hedonisten, Performern, Prekariat, Traditionalisten etc. Das Kaufverhalten des liberal-intellektuellen Milieus mit seinen „klugscheißenden Humanisten und Pastinaken“ wird natürlich auch unter die Lupe genommen. Mir leuchtet seine Sichtweise ein, teilweise eigene Erfahrungswerte.

Wer selbstironisch oder -reflektierend unterwegs ist, kann sich dazwischen ganz unverblümt wiederfinden, bäämm! In Kap 9 wird uns in einem Exkurs der Schrecken der „Multioptionsparalyse am Kühlregal“ vor Augen geführt, eine Konsequenz der „Hilflosigkeit am Drive-In-Schalter des Lebens“?!  Den Leitspruch jener Spezies, welche der Autor in Kap 11 als den sturen Fels in der Brandung  betrachtet, kennen wir. Was Höpfner mit ihnen vor dem Pizzabereich der Tiefkühltruhe eines Markendiscounters erlebt, ist Situationskomik pur. Reality TV! Er sieht Parallelen dieser Verhaltensweise zur Struktur des klassischen Heavy-Metal-Sound und bringt mich nicht nur damit immer wieder zum Schmunzeln.

“ Wenn die bürgerliche Mitte ein AC/DC Song ist, dann ist das traditionelle Milieu ein Manowar-Album. […] Der typische Manowar-Song kommt mit vermutlich maximal hundert Vokabeln aus … „

 

  • Titel: „Sag mir, was Du kaufst, und ich sag Dir wer Du bist“  Der Supermarkt als Petrischale unserer Gesellschaft
  • Autor: Jörn Höpfner
  • Taschenbuch:  221 Seiten, inklusive Literaturverzeichnis und Anhang Register
  • ISBN 978-3-442-17706-6
  • Verlag: Goldmann
  • Preis: € 12,00
  • Mehr erfahren und Blick in´s Buch

 

Fazit

Nicht zuletzt weil sein gut strukturierter Inhalt sowie sein livehaftiges „Buywatch“ im Supermarkt  mir die Augen öffnen, überzeugt der Autor Jörn Höpfner mit seinem ersten Sachbuch. Meine Erwartung an dieses mitunter schwierige Thema wurde übertroffen, hinsichtlich Informationswert, Schreibe und Authentizität. Ein „Must-Have-Book“ als unterhaltsames Nachschlagewerk, nicht nur für Professionals! … Ich kann meinen nächsten Einkauf  im möglichst überfüllten Supermarkt kaum erwarten! Nun ja, mitunter seltsame Szenen wie im Zoo sollte man einkalkulieren!

Dank an die Agentur für Buch-PR und Buchmarketing Literaturtest, die mir vorab ein Exemplar zugeschickt hat. Ich schreibe grundsätzlich nur über Bücher die mir konzeptionell zusagen und für mich zudem einen unterhaltsam spannenden Informationswert haben.


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