Leben wir artgerecht? 13 Thesen zur Zukunft entdecken!


Buchbesprechung

“ Artgerecht “ ist ein Terminus, welcher hauptsächlich nur im Zusammenhang mit der Aufzucht und Haltung von Tieren –  insbesondere „Nutztieren“ – im Fokus achtsamer Menschen steht. Aber leben und empfinden wir unser eigenes Dasein artgerecht? Der Geograf, Biologe und Experte für Wildpflanzen Dr. Markus Strauss schaut in seinem jüngst veröffentlichten Buch von der wilden Seite der Natur auf unsere Zivilisation. Mit seinem historischen Rückblick tief in die Menschheitsgeschichte vermittelt er dem Leser ein umfassendes Verständnis für die großen Zusammenhänge und Ursachen die zur heutigen sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen und (geistig-spirituellen) Lebenssituation geführt haben. Sein Credo: Lang erprobtes Wissen nutzen, zurück zur Natur! Rückbesinnnung, nicht nur in Hinblick auf unsere Ernährung. Spannend zu Lesen wie das „Leben im Paradies“ seiner Expertise nach gelingen kann.

„Die Zeit ist reif“

Eingangs veranschaulicht eine Matrix die Entwicklung der Menschheitsgeschichte. Dabei wird uns bewusst, wie sich z.B. unsere Arbeitswelt, Ernährung, soziale Ordnung, unsere Zeitqualität und unser Bewegungsverhalten von der Steinzeit bis heute drastisch gewandelt hat, siehe Abbildung unten. In der rechten Spalte gibt Dr. Strauss eine „Art Gebrauchsanweisung“ wie die „natürliche Revolution ab jetzt“ in Hinblick auf die genannten Aspekte umgesetzt werden kann. Man ahnt bereits, dass die Lektüre uns auf eine Reise schickt, die unsere gelebte Denkweise ziemlich herausfordert. Nun gut, das liegt in der Natur einer Revolution, macht den gesellschaftlichen Wandel nie einfach, dafür spannend. Auf den ersten 140 Seiten wird sehr detailliert beschrieben, welche natürlichen Grundlagen notwendig sind, sich überhaupt nachhaltig mit „ehrlichen Lebensmitteln“ ernähren zu können. Nach seinem Verständnis sind Lebensmittel nicht industriell sondern naturnah handwerklich hergestellt, alles andere Essbare bezeichnet der Autor als künstliche Nahrungsmittel. Leben ist Natur und nicht HighTech, so seine Botschaft im ersten Kapitel.

 

In sechs ernährungsrelevanten Kapiteln geht es um teilweise überraschend komplexe Zusammenhänge hinsichtlich Bodenbeschaffenheit, Viehzucht, Forstwirtschaft, Zuckersucht und Wasserversorgung. Im Folgenden eine Kurzzusammenfassung seiner Recherchen und Thesen bzw. Vorschlägen zur zukünftigen Umgestaltung.

Boden

Um uns auf den „Boden der Tatsachen“ herunterzuholen, wird selbiger eingangs analysiert: Ist da überhaupt der Wurm drin? Denn ohne Wurm und andere Kleinlebewesen keine nachhaltige Fruchtbarkeit unserer Mutter Erde: Moderne Landmaschinen, Preisdruck, Spekulation, künstliche Düngemittel machen ihr und dem Wurm das unterirdische Leben schwer. Die weltweite Landwirtschaft  ist quasi nicht mehr „geerdet“, denn Humusaufbau funktioniert weitgehend nicht mehr. Für eine artgerechte Lebensweise  empfiehlt der Experte konsequenterweise die Abschaffung von Agrarindustriebetrieben und die Förderung von Bioanbau mit innovativen Fruchtfolgekonzepten. Umgesetzt hat Dr. Strauss seine Lösungsansätze in seiner Stiftung EWILPA,: Parkanlagen mit kontrollierter Verwilderung von essbaren Wildpflanzen zur Nahversorgung der Bevölkerung. An verschiedenen Orten sind solche naturnahen Oasen mit Schulungseinrichtungen bereits im Aufbau, wie z.B. in Bayern, BaWü und Saarland.

 

Viehzucht

Warum Tierwohl nur durch Subventionierung kleinbäuerlicher Familienbetriebe wirklich funktioniert? Der gigantische Anbau von Futtermitteln (Mono-Kulturen)  für die fehlsubventionierte Massenviehzucht wie auch deren Fäkalien hat eben auch großen Einfluss auf die Bodenqualität und die Trinkwasserversorgung. Seine Empfehlung daher, den Fleischkonsum (wenn unverzichtbar) auf den „Bio-Sonntagsbraten“ zu reduzieren. Nach einem Zitat von Leo Tolstoi kämen wir zudem dem weltweiten sozialen Frieden damit auch deutlich näher.

„Solange es Schlachthöfe gibt, wird es Schlachtfelder geben.“

Forstwirtschaft

Besonders im Mittelalter wurde durch die Kultivierung von Ackerland und Holzwirtschaft das Ökosystem Wald nachhaltig verändert. Durch die Industrialisierung und die Folgen des zweiten Weltkriegs verschärfte sich die Situation durch die übermäßige Pflanzung von schnellwachsenden Hölzern wie Nadelbäume und Pappeln. Der Misch- und Laubwald wurde zurückgedrängt. Überflutung, Bergrutsch, Bodenerosion sind die Folge und Warnzeichen, dass unsere Umwelt längst nicht mehr artgerecht ist. Wirtschaftliche Interessen wie Tourismus, Holzwirtschaft (Möbel, Bauholz), Agrarindustrie und Logistik (Flurbereinigung) sind die Ursache für viele Naturkatastrophen. Aus der Sicht des Autors muss die Forstwirtschaft entökonomisiert werden, denn er ist ein perfektes Beispiel für eine konsequente Kreislaufwirtschaft. Alles was nicht als Kreislaufwirtschaft funktioniert, sollte unterlassen werden. Erst durch die Trennung von Wald und Kultur entstand das Phänomen Müll, denn Wald produziert im Gegensatz zu unserer Kulturgesellschaft keinen Müll. Vielmehr steht ein gesunder Wald nach seinem Verständnis für Chancen auf ganzheitliche Heilung, indem wir in ihm zur inneren Ruhe finden und die leicht flüchtigen Terpene der Baumrinden einatmen („Waldbaden“, allerdings ohne Mountain-Bike!).

Zuckersucht

Süßes war zu Beginn der Menschheitsgeschichte nicht so süß und verfügbar wie heute. Wildbienenhonig und einzelne Pflanzensäfte waren einst die einzigen und seltenen süßen Momente. Eher war unser Geschmacksempfinden anfangs ziemlich bitter.  In der Neuzeit versüßte der Rohrzucker aus den Kolonien das Leben der Oberschicht, im Industriezeitalter war es dann die Zuckerrübe die der Arbeiterschicht die harte Maloche erträglich erscheinen ließ. Unser Geschmacksempfinden hat sich in den letzten Jahrzehnten hin zum Dolce Vita orientiert, viele Menschen wurden davon süchtig und leiden nun an Diabetes. Bitterstoffe wurden nicht nur aus Grapefruit und Salat weggezüchtet, weil so beliebt wie die verbitterte Rede eines Frustrierten. Der Körper braucht jedoch Bitterstoffe für sein Verdauungssystem, Stoffwechsel und die Entgiftung. Wer seinen Zuckerkonsum reduzieren möchte, erreicht dies mit dem Verzehr von bitter schmeckendem Gemüse und Salat. Diese reduzieren das Verlangen nach Süßem. Logischerweise fordert der Autor auch die Entmachtung des internationalen Zuckerkartells, Verbot aller Süßungsmittel sowie eine sehr hohe Zuckersteuer.

 

Wasserversorgung

Natürlich unterlag auch unser Trinkwasser einem krassen Wandel. Das System der Kanalisation war nach der Römerzeit vergessen und wurde erst im 19. Jahrundert in den Industriestätten aufgrund massiver Hygiene-Probleme wieder eingeführt. Heute wird unsere Wasseraufbereitung zunehmnd aufwendiger, nicht zuletzt wegen der Industrieabwässer und der Medikamentrückstände im Urin. Wer Bergwasser aus den Höhenlagen getrunken hat, weiß dass es nicht nur sehr viel besser schmeckt sondern davon erstaunlich viel mehr getrunken werden kann als vom Hahnewasser. Der Unterschied liegt auch im Wasserfluß und dessen naturreiner Umgebung: Im Rohr fließend aus tiefem Grundwasser ist es einem gewissen Zwang und Umwelteinflüssen ausgesetzt, in der Natur hat Bergquellwasser freien Lauf über die Erdschichten. Den Unterschied der Eiskristalle kann man anhand der Clusterbildung von „lebendigem“ Wasser erkennen, wenn auch nicht wissenschaftlich erklären. Dr. Strauß Empfehlung lautet Wasserenergetisierung durch naturbelassene Kristalle. Zudem fordert er für ein artgerechtes Leben eine weltweite Deökonomisierung der Wasserversorgung. Zugang zum Trinkwasser soll Menschenrecht und kein Geschäftsfeld sein. Förderung von Umkehrosmoseanlagen mit Verwirbelung und Quarzenergetisierung in jedem Haushalt. Umbau der Sanitärtechnik, d.h.Trennung des WC-Abwassers in Urin und Sch…..

 

Artgerecht?

Soweit zu den Aspekten, die unmittelbaren Einfluß unsere artgerechte Ernährung ausüben. Letztendlich gehört zum artgerechten Leben nach Ansicht des Autors auch der sozialverträgliche Umgang mit Geld, das persönliche Umfeld, Partnerschaft, kindgerechtes Aufwachsen, Bewegung und das gesellschaftliche Leben.  In der zweiten Hälfte des Buches offenbart sich die politische Denkweise des Autors in voller Pracht und erinnert teilweise an die Wahlprogramme und Grundsatzdiskussionen der fundamental grünen und linken Parteieinlandschaft. Nun gut, interessant zu lesen und neue Denkansätze kennenzulernen. Aber durchaus fragwürdig hinsichtlich Umsetzbarkeit und Akzeptanz.  Die Mehrheit unserer Gesellschaft wird sich damit nicht anfreunden können solange sie gesättigt auf dem Sofa liegend die Bad News in der „Ferne“ schaut: Wer will denn ernsthaft eine ökologische Revolution, die enorme Umwälzungen unseres wohlgenährten Systems zur Folge hätte? Im Kleinen könnte es z.B. im Einkaufsverhalten beginnen, tut es aber nicht wirklich. In meiner Stadt gibt es seit kurzem  einen neuen Discounter dazu.

Artgerecht, 13 Thesen zur Zukunft des Homo Sapiens

 

Markus Strauss
Artgerecht
13 Thesen zur Zukunft des Homo Sapiens
2018, Originalausgabe.
Gebunden, 319 Seiten.
Verlag: Kosmos, ISBN: 9783440159705
€ 24,00 [D]
Erschienen am 12. April 2018.

Danke an den Verlag KOSMOS für des Rezensionsexemplar!

Fazit:

Ja, die Mehrheit der Menschheit lebt tatsächlich nicht artgerecht auch wenn der Terminus individuell je nach „Gesinnung“ interpretiert werden kann. Das Buch ist für alle Leser empfehlenswert, die Inspiration suchen ihr eigenes (soziales) Leben, Umfeld und Ernährungsweise neu zu gestalten. Als Experte für Selbstversorgung sind seine Recherchen sehr fundiert und auch in einem sehr umfangreichen Quellenverzeichnis belegt. Viele seiner Denkanstöße die innere Ruhe für den Alltag beispielsweiseaus der Natur zu schöpfen wie z.B. „Waldbaden“, Anpflanzen von Heilkräutern, Bewegung durch Wandern, Wildkräutersammeln  geben nachgewiesenermaßen (auch aus eigener Erfahrung) tatsächlich erlebenswerte positive Impulse. Zudem erlebt ihr nach der Lektüre unsere sogenannten Kulturlandschaften und die Bergwelt mit anderen (kritischeren) Augen. Dr. Strauss schärft mit seiner sehr komplexen Themenvielfalt die Wahrnehmung unseren Alltag und Konsumverhalten neu zu bewerten. Zudem vermittelt er Lösungsansätze und Expertise wie das persönliche und gesellschaftliche Leben lebenswerter für alle gestaltet werden kann. Transformation ist für ihn für die Regeneration der Natur unabdingbar.  In kleinen Schritten sollen wir daher unsere persönliche (kleine) Revolution wagen. Hin zu einem unabhängigen zufriedenen Leben ohne Druck, Zivilisationskrankheiten und Ängste, so die Botschaft.

Nun gut, die Menschen und Kulturkreise sind in ihrer Art sehr unterschiedlich und so entscheidet jeder für sich wie sein artgerechtes Leben ohne selbstzerstörerische Faktoren mit der Natur in Einklang stehen kann. Klar, ein schlechtes Gewissen/Zweifel während des nächsten Einkauf bleibt dann sicherlich nicht aus. Durch die Globalisierung und (wirtschafts)politische Konflikte stehen wir auch immer irgendwo dazwischen. Wandel ist zwar stetig, aber auch nicht einfach.

 

Selbstversorger mit Kräutervielfalt auf der kleinen Dachterasse

 

 

 

 

 

 

 


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